Kein Anspruch des Arbeitgebers auf „Gesundschreibung“

"Gesundschreibung" gibt es so nicht

Ein Verlangen des Arbeitgebers nach einer „Gesundschreibung“ bedarf einer besonderen Rechtsgrundlage. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann es im Einzelfall dazu kommen, dass die Arbeitsfähigkeit näher belegt werden muss. Allein eine vorangegangene längere Arbeitsunfähigkeit begründet für sich genommen einen solchen Umstand regelmäßig nicht.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14.07.2020 – 2 Sa 52/20

Sachverhalt

Der Kläger ist seit Januar 1988 bei der Beklagten – zuletzt als Staplerfahrer – beschäftigt. Ab dem 22.06.2015 war er arbeitsunfähig erkrankt. Nach Ablauf des Bezugs von Krankengeld erhielt er Arbeitslosengeld I. Im August 2017 hatte der Kläger erklärt, dass er nicht abschätzen könne, ob er seine vor dem 22.06.2015 ausgeübte Tätigkeit noch voll oder überhaupt ausüben könne.

Nach längerer schriftlicher Auseinandersetzung, in deren Rahmen der Kläger seine Arbeitsfähigkeit erklärt hatte, erschien er am 10.09.2018 im Betrieb, um als Staplerfahrer zu arbeiten. Die Beklagte wies ihm keine Arbeit zu.

Die Beklagte hatte dem Kläger bereits zuvor mitgeteilt, dass er für sie weiterhin krank sei und hatte ihn aufgefordert, ein ärztliches Attest darüber vorzulegen, welche Arbeitsleistung er noch erbringen kann bzw. welche gesundheitlichen Einschränkungen zu berücksichtigen sind.

Der Kläger wies die Forderung eines Attests mit dem Hinweis zurück, dass eine Gesundschreibung oder ähnliches im deutschen Gesundheitswesen nicht existiere und forderte Lohnansprüche ab Mai 2018, die er schließlich auch mit der Klage verfolgte.

Die Beklagte hatte die Ansicht, sie habe sich nicht im Annahmeverzug befunden, da es bereits an einem ordnungsgemäßen Angebot der Arbeitsleistung durch den Kläger fehle. Es wäre Aufgabe des Klägers gewesen, Tatsachen aufzuzeigen, aus denen sich eine Veränderung seiner gesundheitlichen Situation ergeben habe und zu erläutern, dass er wenige Monate nach seiner früheren Aussage und in Widerspruch zu dieser doch arbeitsfähig sei und die Tätigkeit eines Staplerfahrers ausüben könne.

 

Entscheidung

Das LAG sprach dem Kläger Lohnansprüche ab dem 10.09.2018 zu. Der Arbeitnehmer müsse die Arbeitsleistung tatsächlich anbieten. Voraussetzung sei, dass der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz erscheine und zur Arbeitsaufnahme unverzüglich bereit sei. Das nach diesen Grundsätzen erforderliche Angebot habe der Kläger der Beklagten erst am 10.09.2018 unterbreitet.

Eine „Gesundschreibung“ habe die Beklagte nicht verlangen dürfen. Ohne besondere rechtliche Grundlage dürfe der Arbeitgeber kein ärztliches Attest fordern, das die wiedererlangte Gesundheit des Arbeitnehmers bestätigt. Eine solche „Gesundschreibung“ sei weder entgeltfortzahlungsrechtlich noch sonst sozialrechtlich vorgesehen. Im Grundsatz sei dabei davon auszugehen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsperiode befristet bescheinigt wird und mit dem letzten Tag endet, der auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als solcher angegeben ist. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände stehe dann fest, dass am Folgetag der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist. Das Verlangen einer „Gesundschreibung“ bedürfe einer besonderen Rechtsgrundlage. Diese liege nicht ohne weiteres in dem pauschalen Hinweis auf eine arbeitgeberseitige „Fürsorgepflicht“. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände könne es im Einzelfall dazu kommen, dass die Arbeitsfähigkeit näher belegt werden müsse. Der Umstand allein einer vorangegangenen längeren Arbeitsunfähigkeit begründe dies für sich genommen regelmäßig nicht.

 

Fazit

Regelmäßig stehen Arbeitgebende vor der Problematik, dass sich aus ihrer Sicht arbeitsunfähige Arbeitnehmende nach Auslaufen des Krankengeldes wieder arbeitsfähig melden. Arbeitgebende können jedoch das Arbeitsangebot nicht einfach zurückweisen, ohne Annahmeverzugslohn zu riskieren. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat in seiner Entscheidung verdeutlicht, dass eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit zwar möglicherweise ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft darstellen kann, dies jedoch nicht zwingend ist. Eine lange Dauer einer Erkrankung bildet für sich kein ausreichendes Indiz dafür, dass sie fortbesteht. Deshalb müssen Arbeitnehmer*innen regelmäßig nicht beweisen, wieder arbeitsfähig zu sein. Arbeitgebende sollten also lieber die betriebsärztliche Untersuchung anstreben als die angebotene Arbeitskraft einfach abzuweisen.


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